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Hinter den Kulissen von New Work

In der Arbeitswelt kursiert der Begriff VUCA schon seit einigen Jahren und füllt das Beratungsangebot mit Mitteln, Methoden und Interventionen, die Organisationen dabei helfen sollen, sich dem bedrohlichen Szenario hinter dem Akronym zu stellen. Die Pandemie hat die Auswirkungen von Unsicherheit, Volatilität, Komplexität und Ambiguität noch verschärft und die Art der Zusammenarbeit in vielen Kontexten rasant schnell und nachhaltig verändert. Das Konzept von New Work und die damit verbundene Agilität gewinnen als Antwort auf die Herausforderungen der VUCA-Welt weiter an Bedeutung. Organisationen müssen flexibler und anpassungsfähiger denn je sein, um die Veränderungen und die Komplexität der Außenwelt zu bewältigen. Die zunehmende Forderung nach neuen Arbeitsmodellen und Agilität stellt Organisationen vor eine Herausforderung, die weit über strukturelle Anpassungen hinausgeht. Der Wandel wirkt sich nicht nur auf Prozesse und Technologien aus, sondern auch auf die menschliche Dimension, d.h. auf die Art der Beziehungen, der Interaktionen und der Machtverhältnisse innerhalb des Systems. 

 

Doch auch wenn hier der Eindruck entstehen könnte, dass die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen und die sich daraus ergebenden Herausforderungen erst in den letzten Jahren entstanden sind, liegt der Ursprung des Akronyms VUCA, sowie New Work als Antwort auf nicht mehr als zeitgemäß empfundene Arbeitsbedingungen, viel weiter zurück. Der Begriff VUCA wurde im Jahr 1989 vom US-Militär eingeführt, als mit dem Fall der Sowjetunion die USA sich mit komplexen weltpolitischen Machtverhältnissen anstelle eines definierten Gegners konfrontiert sahen. Ähnlich wie die Politik war schnell auch die Wirtschaftswelt mit den Herausforderungen wachsender Komplexität konfrontiert und der Begriff VUCA hielt auch in der Unternehmenswelt Einzug (Schermuly 2021: 44). Das Konzept von New Work wurde vor über 30 Jahren von dem amerikanischen Philosophen Frithjof Bergmann geprägt, der sich vor den Massenentlassungen von General Motors die Frage stellte, „was mit einer Gesellschaft und den Menschen geschieht, die ihre traditionellen Arbeitsverhältnisse aufgrund der fortschreitenden Technisierung und Automatisierung verlieren“ (Schermuly 2021:47).  Auch wenn die Rahmenbedingungen anders sind und das, was heute allgemein unter New Work verstanden wird sich nicht mehr vollständig mit der Idee von Bergmann deckt, bleiben jedoch Analogien. Es bleiben die immer komplexeren geopolitischen Verhältnissen und die damit einhergehende Unsicherheit. Mit dem Fortschreiten der Digitalisierung bleibt die Angst vieler Menschen, in der Arbeitswelt abgehängt zu werden. Es bleibt der Wunsch nach Arbeitsbedingungen, die den Menschen und seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellen und nach der Sinnhaftigkeit der Arbeit (dem vielzitierten Purpose). New Work und die damit verbundene Forderung nach Agilität sind eine Reaktion auf VUCA. 

 

Es stellt sich die Frage, warum das Konzept von New Work immer noch als New verkauft wird und sich nicht als die Regel in der Arbeitswelt etabliert hat. Immer noch treffen die agilen Werte und Ideale auf klassische hierarchische Strukturen, die weiterhin durch Macht und Kontrolle, manchmal im Hintergrund hinter der propagierten agilen Fassade, agieren. Dies erzeugt Spannungsfelder, die oft zu Konflikten und toxischen Dynamiken führen. Es lohnt sich, auch durch eine emotionale Brille auf die Auswirkungen des Veränderungsdrucks, dem sich Organisationen in dem ganzen Agilitätshype ausgesetzt sehen, zu schauen.  Wie hängen VUCA, New Work und Agilität zusammen? Was lösen sie in Menschen und Organisationen aus? 

Es ist deutlich, wie wichtig es ist, sich mit der menschlichen Dimension in Organisationen auseinanderzusetzen. Es geht darum, die menschliche Dimension in Organisationen zu integrieren. Das Ziel ist eine Organisationsentwicklung als Beschäftigung mit dem Hier und Jetzt durch Dialog und Beziehung, fern von Schlagwörtern und der Vision der perfekten Organisation.

 

New Work, Agilität und andere Ideale   

K wie Komplexität: Das scheint die einzige Konstante unserer Zeit zu sein. Und genauso komplex kommen die Zusammenhänge zwischen New Work, agilen Werten, Prinzipien und Methoden daher. Mal als Lösung verkauft, mal als Beschreibung aktueller Entwicklungen verwendet, sind die Begriffe in aller Munde und doch sind die Vorstellungen dahinter sehr unterschiedlich. Die Ergebnisse des vom Institute for New Work and Coaching (INWOC) jährlich durchgeführten New-Work-Barometers zeigen, wie das Verständnis des Begriffs von Methoden und Formaten (Design Thinking, Scrum, Barcamps) bis hin zu Führungsstilen (Shared Leadership, Holokratie) und Arbeitsmodellen (Arbeitsort- und Arbeitszeitautonomie) reicht (Schermuly 2021:51). Das V im Acronym VUCA könnte auch für Verwirrung stehen. Die Antwort auf die wachsende Unsicherheit sind oft wohlklingende Anglizismen, die im Allgemeinen für Modernität, Dynamik und Erneuerung stehen. Die Konsequenz für Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeitende ist vor allem eine: Veränderungsdruck. In der mehr oder weniger impliziten Forderung „werden wir agil“ steckt die Botschaft, dass bisherige Strukturen und Vorgehensweisen angepasst werden sollen, um zukunftsfähig zu werden. Aber was genau bedeutet es für die einzelnen Organisationen, agil zu werden? Was bedeutet es für Strukturen und Prozesse, für die Zusammenarbeit, für die Führung und die Mitarbeitenden auf verschiedenen Ebenen? Was als agiles Manifest 2001 von 17 IT-Spezialisten und Softwareentwickler in den USA entworfen wurde, findet sich heute in seinen Abwandlungen in ganz anderen Kontexten, die mit dem ursprünglichen Umfeld und Geschäftsbereich nicht viel gemeinsam haben. Das agile Mindset steht für eine Reihe von Annahmen, Überzeugungen und Wertvorstellungen, worüber zwar auf Management-Ebene und mit Beratern viel geredet wird, die aber oft über schwammige Vorstellungen nicht hinauskommen und den Realitätsscheck verfehlen. Agilität wird mit einer vagen Idee von Flexibilität, Mut und Pragmatismus assoziiert, die den starren Strukturen gegenübergestellt wird. Stark vereinfacht, Innovation vs. Bewahren. Die Konsequenz: Veränderungsbedarf. Changemanagement. Das geflügelte Wort: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“.  

Ich habe eine Gruppe angehender Industriemeister in einem IHK Lehrgang nach ihren Assoziationen zu dem Wort Agilität gefragt. In der daraus resultierenden Wortwolke fallen die Begriffe „Flexibilität“, „Anpassungsfähigkeit“, „Schnelligkeit“, „Veränderung“, „Offenheit für Neues“ auf. Auf die Frage, wie agil ihr Arbeitsumfeld bereits sei, lagen die Antworten der Teilnehmenden auf einer Skala von 1-100 überwiegend zwischen 20-50. Agilität als Zukunftsmusik, als ein Idealzustand, den es anzustreben gilt. Wie, ist noch unklar.  

Wie es Anderl/Reineck treffend formulieren, „waren (Organisationen) immer schöner gedacht, als sie real daherkommen. Und dann beschreiben sie noch die Ideale, an denen sie regelmäßig scheitern“ (Anderl/Reineck 2018: 13).  

 

Welche Emotionen und Ängste entstehen durch das Verkünden agiler Werte, die Forderung nach einem agilen Mindset und den dadurch entstehenden Veränderungsdruck? Und wie wirken sich diese auf die Produktivität, die Zusammenarbeit und schließlich den Unternehmenserfolg aus? Macht das Konzept von Agilität Angst? Erzeugt es Druck und Orientierungslosigkeit? Sind manche Menschen damit überfordert?  

Was steckt wirklich hinter dem Begriff Agilität auf einer tieferen Ebene? Wie sieht ein Umfeld aus, in dem die agilen Werte gelebt werden können? Sind die vermeintlichen Freiräume von New Work die Lösung oder das Problem? Geht es wirklich um den Menschen und sein Wohlbefinden oder artet es in Selbstausbeutung aus?

 

Diese und viele andere Fragen stellen sich, wenn man sich in und mit Organisationen Gedanken über die Arbeitswelt von morgen macht. In diesem Zusammenhang sind szenisch-kreative Methoden und Interventionen, wie Psychodrama, Soziodrama und Soziometrie wirkungsvolle Instrumente, um alle Ebenen und Dimensionen sichtbar und bearbeitbar zu machen und somit neue Lösungswege aufzuzeigen. 

 

Mit dem Format „Agile Acting: Agilität in Aktion erkunden“ wollen wir diesen Fragen nachgehen und hinter die Kulissen der Agilität schauen. Der Workshop soll ein Raum für alle sein, die als Berater:innen oder Führungskräfte die Aufgabe haben, agile Methoden und Konzepte zu übersetzen und umzusetzen, sowie für all diejenigen, die mit der Forderung “jetzt werde mal agil!“ auf verschiedene Weisen konfrontiert sind. 

 

Nächster Termin ist in Kassel am 09.-10.11.2024. Mehr Infos dazu hier 

 

#agileacting #newwork #kreativvorankommen #psychodrama #soziodrama 

 

LITERATURVERZEICHNIS:

Anderl, M./Reineck, U.: mini-handbuch Organisationsentwicklung, Weinheim 2018

Schermuly, C.C.: New Work – Gute Arbeit gestalten (3. Auflage), Freiburg 2021

 

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