"Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen". In meinem Wohnzimmer hängt eine Postkarte mit diesem Zitat, das angeblich von Guy de Maupassant stammt. Das schönste an meinem Beruf sind tatsächlich die immer neuen Begegnungen mit so vielen unterschiedlichen Menschen und Lebensgeschichten. Ich treffe sie auf Ihrem Weg zu einer neuen Sprache, einem neuen Lebensabschnitt oder einem weiteren beruflichen Schritt und darf sie eine Weile begleiten und etwas von ihnen erfahren. Das, was wir in Kursen, Seminaren oder Beratungen zusammen erleben verbindet und manchmal bleibt diese Verbindung noch lange Zeit bestehen, wird vielleicht zu einer Freundschaft. Bei jedem Seminar oder Sprachkurs geht eine Tür auf die Vielfalt der Menschheit auf und ich darf daran teilhaben.
Im Februar 2022 startete ich für die VHS in Rothenburg einen Intensivkurs "Deutsch als Fremdsprache" mit einer Gruppe von 12 Teilnehmenden mit 7 unterschiedlichen Nationalitäten. Die Essenz der Vielfalt. Die Atmosphäre in dem Kurs war vom ersten Tag an klasse und die Gruppe ist sehr schnell zusammengewachsen. Auch nach dem Kurs ist der Kontakt nicht abgebrochen und einige Teilnehmende treffen sich auch privat regelmäßig. Davon hat natürlich auch die deutsche Sprache profitiert. Alle wurden sehr schnell damit vertraut und machen ihre Fortschritte.
Aya El-Kady und Mahmoud Khawaga, ein Ehepaar aus Ägypten, hat dem Gruppenkurs gleich einen Block Privatunterricht angeschlossen, daher werde ich noch ein Stück mit ihnen in die deutsche Sprache gehen. Ich darf jede Woche erleben und staunen, wie schnell und mit welcher Begeisterung diese zwei Menschen mit ihren Kindern ihren Neubeginn in Deutschland gestalten. Meinen Vorschlag, in der nächsten Unterrichtsstunde ein Interview für meinen Blog zu machen, haben Aya und Mahmoud gleich angenommen, worüber ich mich sehr freue. In den folgenden Zeilen werde ich sie mal zu Wort kommen lassen und etwas über sich und ihre Entscheidung nach Deutschland zu kommen erzählen. Anschließend beantworten sie jeweils zwei Fragen aus dem Buch 999 Fragen an mich (by riva Verlag, 2018), das ich vor kurzem beim Stöbern im Bücherladen gefunden und für meine Deutschkurse gekauft habe. Danke schon mal an dieser Stelle an Aya und Mahmoud, die sich mit ihrer Offenheit stets auf meine "Experimente" einlassen!
Ein ganzes halbes Jahr in Deutschland
Aya und Mahmoud sind 33 und 34 Jahre alt und sind im Januar 2022 mit ihren zwei Kindern Jasmin und Adam von Elmenoufia in Ägypten nach Rothenburg ob der Tauber gezogen, wo Mahmoud eine Stelle als Ingenieur bei der Firma Electrolux angetreten hat. Aya ist Ärztin in der Notfallmedizin und kann es nicht erwarten, auch in Deutschland praktizieren zu können.
Aber lassen wir sie selber erzählen, wie und warum sie nach Deutschland kamen und welches Fazit sie aus ihrem ersten halben Jahr in ihrer Wahlheimat ziehen. Ich möchte unbedingt erwähnen, dass das folgende Interview fast ausschließlich auf Deutsch geführt wurde. Das ist, nach nur 6 Monaten in einem fremden Land, eine tolle Leistung!
INTERVIEW
Vor einem halben Jahr hat euer neuer Lebensabschnitt in Rothenburg angefangen. Ihr habt euch, wie ich erfahren habe, ziemlich schnell für euren Umzug ins Ausland entschieden. Warum nach Deutschland?
AYA: Wegen Mahmouds Job. Er hatte ein gutes Angebot von der Firma Electrolux in Rothenburg bekommen. Wir wollen zusammenbleiben, deswegen sind wir jetzt hier.
MAHMOUD: Ja, ich habe dem Jobangebot gleich zugesagt. Aya und die Kinder waren einverstanden. Und jetzt sind wir alle hier.
Wart ihr gleich alle vier mit der Entscheidung einverstanden?
AYA: Am Ende ja. Zuerst war ich nicht einverstanden aber es war uns wichtig, zusammenzubleiben.
MAHMOUD: Wir hatten nur zwei Monate Zeit, um die Entscheidung zu treffen und alles für den Umzug vorzubereiten, alle erforderlichen Papiere zu bekommen... Es war eine schnelle Entscheidung.
Aya, am Anfang warst du nicht einverstanden. Wann hast du schließlich ja gesagt?
AYA: Ich habe nie ja gesagt (lächelt). Aber ich wusste, wenn etwas gut für Mahmoud ist, dann ist es gut für uns alle.
MAHMOUD: Es ist eine Chance für uns, um uns beruflich weiter zu entwickeln, und eine Chance für die Kinder, eine bessere Bildung zu bekommen.
Was hattet ihr vor eurem Umzug für eine Vorstellung von Deutschland? Was davon hat sich bestätigt?
AYA: Ich dachte immer, Deutschland sei sehr kalt, es gebe keinen Sommer. Aber das war nicht richtig, die Sonne scheint auch in Deutschland! Ich stellte mir die Deutschen als distanzierte, nicht so freundliche Menschen vor. Ich musste aber feststellen, dass sie nett und hilfsbereit sind. Mahmoud stellte sich Deutschland als ein Paradies vor (beide lachen).
MAHMOUD: Nein, es ist nicht wahr. Ich stellte mir schöne Landschaften und viel Natur und grün in Deutschland vor, und das stimmt. Ich liebe die deutschen Landschaften und ich mag Rothenburg sehr. Meine Arbeit hatte ich mir leichter und weniger stressig vorgestellt. Und ich dachte, ich würde auch in Deutschland jederzeit, auch abends und am Sonntag, einkaufen gehen können, das ist aber leider hier nicht so. Ich hasse das!
Was war euer größter Wunsch, wenn ihr an eurem Leben in Deutschland gedacht habt?
AYA: Mein Wunsch war, dass meine Kinder in Deutschland besser lernen können als in Ägypten. Mein großer Wunsch ist außerdem, dass wir unsere Traditionen, unsere Kultur und Religion bewahren können, als wären wir in Ägypten. Alles andere wird kommen: Arbeit, Geld, alles. Aber ich möchte, dass wir so bleiben können, wie wir sind.
MAHMOUD: Mein größter Wunsch war, dass wir als Familie glücklich werden und zusammenbleiben.
AYA: Mein Wunsch für Mahmoud ist, dass er viel Erfahrung in seinem Beruf sammeln kann.
MAHMOUD: Mein Wunsch für Aya ist, dass sie bald wieder arbeiten kann. Wenn sie nicht arbeitet, denkt sie zu viel. Das ist nicht immer gut, für sie und für uns.
Was war das für euch bisher schönste Erlebnis in Deutschland?
AYA: Ein schönes Erlebnis ist für mich, wenn ich in der Natur entspannen kann. Hier ist alles so grün. Und es ist ein schönes Gefühl, dass die Kinder draußen spielen können, frei und sicher.
MAHMOUD: Ja, ich finde es auch sehr schön, dass unsere Kinder hier selbständig sein können. Sie können alleine in die Schule gehen und von der Schule kommen.
Was war eure bisher größte Enttäuschung in Deutschland?
MAHMOUD: Wie ich schon sagte, bin ich enttäuscht, dass man hier nicht jederzeit einkaufen kann, weil die Geschäfte zu haben. In Ägypten können wir auch um 2 Uhr nachts ausgehen und einkaufen, hier kann man nachts nur schlafen :-). Vom deutschen Essen bin ich auch enttäuscht. Zum Beispiel Spinat mit Eiern und einer weißen Sauce... so schlecht. Hier vor Ort ist es schwer, arabische Küche zu finden, meistens suchen wir italienische Restaurants, wenn wir essen gehen wollen.
Wie zufrieden seid ihr nach sechs Monaten mit eurem neuen Leben in Deutschland, auf eine Skala von 1-10?
AYA: 5
MAHMOUD: 8. Es ist noch nicht 10, aber auch nicht 5. Auch Aya wird Deutschland lieben, wenn sie wieder arbeiten kann!
AYA: Wir werden sehen...
MAHMOUD: Stelle uns die gleiche Frage in einem Jahr wieder
Ok, dann nächstes Jahr am 8. Juli, um 18:55 treffen wir uns im Biergarten oder auf einen Kaffee und ihr werdet diese Frage wieder beantworten. Ich bin ja gespannt...
Vielen Dank für eure Antworten und eure Offenheit. Und nun habe ich für euch noch 2 Fragen aus meinem Buch *999 Fragen an mich. Nennt mir zwei Zahlen zwischen 1 und 999. Ihr könnt euch aussuchen, welche der beiden Fragen ihr beantworten möchtet.
Die Frage 902 für Aya lautet: "Selbst vorstellen oder vorgestellt werden?"
AYA: Ich stelle mich selbst vor!
Die Frage 25 für Mahmoud lautet: "Hunde oder Katzen?"
MAHMOUD: Definitiv Katzen, Ich habe Angst vor Hunden!
Ich bedanke mich herzlich bei Familie Khawaga für dieses Interview und wünsche ihnen für ihr Leben in Deutschland alles Gute und dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Wir werden noch eine Weile zusammen lernen und die Vorbereitung der telc B2 Prüfung angehen. Und auch weiterhin werden wir hoffentlich in Kontakt bleiben!
*999 Fragen an mich, 2018 by riva Verlag, München
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Aya (Montag, 11 Juli 2022 20:51)
Sehr schöne.